Distributionen
Die Theorie der
Distributionen ermöglicht es,
Ableitungen für
Funktionen zu bestimmen, die im klassischen Sinn nicht
differenzierbar sind. In diesem Sinne können
Distributionen als eine Verallgemeinerung des Begriffs der
Funktion angesehen werden. Es gibt
partielle Differentialgleichungen, die keine klassischen Lösungen, aber Lösungen im distributionellen Sinn haben. Die Theorie der
Distributionen ist daher insbesondere in der Physik und in den Ingenieurwissenschaften wichtig: Viele der dort untersuchten Probleme führen nämlich zu
Differentialgleichungen, die nur mit Hilfe der Theorie der
Distributionen gelöst werden konnten.
Definitionen
Distribution
Eine
Distribution ist eine stetige und
lineare Funktion von einem Testfunktionenraum in die reellen oder
komplexen Zahlen.
Funktionen, die
Funktionen auf Zahlen abbilden, werden traditionell als Funktionale bezeichnet. Unter Verwendung dieses Begriffs sind
Distributionen stetige, lineare Funktionale auf dem Raum der Testfunktionen.
Die
Menge der
Distributionen ist mit den entsprechenden
Verknüpfungen der
Addition und der Skalarmultiplikation also der topologische
Dualraum zum Testfunktionenraum und wird daher als
D′ notiert. Das Zeichen
′ bezeichnet in der
Funktionalanalysis den topologischen
Dualraum. Um überhaupt von
Stetigkeit und topologischem
Dualraum sprechen zu können, muss der Raum der Testfunktionen mit einer lokal konvexen
Topologie ausgestattet sein.
Oftmals verwendet man daher die folgende Charakterisierung als alternative Definition, da diese ohne die
Topologie des Testfunktionenraums auskommt und kein Wissen über lokalkonvexe Räume erforderlich ist:
Sei
Ω⊂Rn eine
offene Menge. Ein lineares Funktional
T:D(Ω)→C heißt
Distribution, wenn für jedes Kompaktum
K⊂Ω ein
C>0 und ein
k∈N existiert, so dass für alle Testfunktionen
φ∈D(K) die
Ungleichung
- ∣T(φ)∣≤C∥φ∥Cbk(K):=C∣α∣≤k∑supφ∈Cc∞(K)∣∂αφ∣
gilt. Diese Definition ist äquivalent zu der zuvor gegebenen, denn die
Stetigkeit des Funktionals
φ folgt aus dieser
Ungleichung, obwohl sie nicht für ganz
Ω gelten muss, weil
D(Ω) als (LF)-Raum bornologisch ist.
Ordnung einer Distribution
Kann in der obigen alternativen Definition für alle Kompakta
K dieselbe Zahl
k gewählt werden, so wird diese als Ordnung von
T bezeichnet. Die
Menge der
Distributionen der Ordnung
k wird mit
D′k(Ω) bezeichnet und mit
DF′(Ω):=k⋃D′k(Ω) notiert man die
Menge aller
Distributionen mit endlicher Ordnung. Dieser Raum ist kleiner als der allgemeine Distributionenraum
D′(Ω), denn es gibt auch
Distributionen, die nicht von endliche Ordnung sind.
Reguläre Distribution
Eine besondere
Teilmenge der
Distributionen sind die regulären
Distributionen. Diese
Distributionen werden durch eine lokal integrierbare
Funktion f∈Lloc1(Rn) erzeugt. Präzise bedeutet dies, dass eine
Distribution T regulär genannt wird, wenn es eine Darstellung
- Tf(φ)=Rn∫f(t)φ(t)dt
gibt, bei der
f∈Lloc1(Rn) eine lokal integrierbare
Funktion ist. Nicht-reguläre
Distributionen werden auch
singulär genannt; das sind
Distributionen, für die es keine erzeugende
Funktion f im Sinn dieser Definition gibt.
Testfunktionen
In der Definition der
Distribution ist der Begriff der Testfunktion beziehungsweise der des Testfunktionenraums zentral. Dieser Testfunktionenraum ist der Raum der glatten
Funktionen mit kompaktem Träger zusammen mit einer induzierten
Topologie. Eine
Topologie auf dem Testfunktionenraum zu wählen ist sehr wichtig, weil sonst der Begriff der
Stetigkeit nicht sinnvoll definiert werden kann. Die
Topologie wird auf dem Raum durch einen Konvergenzbegriff festgelegt.
- Cc∞(Ω)={φ∈C∞(Ω)∣supp(φ) ist kompakte Teilmenge von Ω}
die
Menge aller
unendlich oft
differenzierbaren Funktionen, die einen kompakten Träger haben, also außerhalb einer
kompakten Menge gleich null sind. Der Konvergenzbegriff wird festgelegt, indem man definiert: Eine
Folge (φj)j∈N mit
φj∈Cc∞(Ω) konvergiert gegen
φ, wenn es ein Kompaktum
K⊂Ω gibt mit
supp(φj)⊂K für alle
j und
- limj→∞supx∈K∣∣∣∣∂xα∂α(φj(x)−φ(x))∣∣∣∣=0
für alle Multiindizes
α∈Nn. Die
Menge Cc∞(Ω) ist - ausgestattet mit diesem Konvergenzbegriff - ein lokalkonvexer Raum, den man Raum der Testfunktionen nennt und als
D(Ω) notiert.
Zwei unterschiedliche Sichtweisen
Wie weiter oben im Abschnitt zur Definition der
Distribution beschrieben, ist eine
Distribution ein Funktional, also eine
Funktion mit bestimmten Zusatzeigenschaften. Im Abschnitt Geschichte der Distributionentheorie wurde dagegen gesagt, dass die
Delta-Distribution keine
Funktion sein kann. Dies ist offensichtlich ein Widerspruch, der sich auch in der aktuellen Literatur noch wiederfindet. Dieser Widerspruch entsteht dadurch, dass versucht wird,
Distributionen - und auch Funktionale auf
Lp-Räumen - mit
reellwertigen Funktionen zu identifizieren.
Insbesondere in der theoretischen Physik versteht man unter einer
Distribution ein Objekt, beispielsweise
δ genannt, mit gewissen sich aus dem Kontext ergebenden Eigenschaften. Die gewünschten Eigenschaften verhindern oftmals, dass
δ eine
Funktion sein kann, aus diesem Grund spricht man dann von einer
verallgemeinerten Funktion. Nachdem nun die Eigenschaften von
δ festgelegt sind, betrachtet man die Zuordnung
- φ∈Cc∞↦∫δ(x)φ(x)dx,
die einer Testfunktion
φ eine
reelle Zahl zuordnet. Da
δ jedoch im Allgemeinen keine
Funktion ist, muss für den Ausdruck von Fall zu Fall erst ein Sinn erklärt werden.
Mathematisch gesehen ist eine
Distribution eine
Funktion mit bestimmten abstrakten Eigenschaften (Linearität und
Stetigkeit), die einer Testfunktion eine
reelle Zahl zuordnet. Ist das
δ aus vorigem Absatz eine integrierbare
Funktion, so ist der Ausdruck
T(φ)=∫δ(x)φ(x)dx mathematisch präzise definiert. Jedoch wird hier nicht die
Funktion δ als
Distribution bezeichnet, sondern das Funktional
∫δ(x)⋅dx heißt
Distribution.
Auch viele Mathematiklehrbücher unterscheiden nicht zwischen der (distributions)
erzeugenden Funktion δ und der eigentlichen
Distribution im mathematischen Sinne. In diesem Artikel wird vorwiegend die strengere mathematische Sichtweise verwendet.
Konvergenz
Da der Distributionenraum als topologischer
Dualraum definiert ist, trägt er ebenfalls eine
Topologie. Als
Dualraum eines lokalkonvexen Raums trägt er auch die Schwach-*-Topologie, die ihn mit folgendem Konvergenzbegriff ausstattet: Eine
Folge (Tn)n∈N von
Distributionen konvergiert gegen
T∈D′(Ω), wenn für jede Testfunktion
φ∈D(Ω) die Gleichung
- limj→∞Tj(φ)=T(φ)
gilt.
Weil jede Testfunktion
φ∈D(Ω) mit
Tφ(φ):=Ω∫φ(x)φ(x)dx identifiziert werden kann, kann
D(Ω) als ein topologischer
Teilraum von
D′(Ω) aufgefasst werden.
Der Raum
D(Ω) liegt
dicht in
D′(Ω). Das bedeutet, dass für jede
Distribution T∈D′(Ω) eine
Folge von Testfunktionen
(Tj)j∈N in
D(Ω) mit
limj→∞Tj=T in
D′(Ω) existiert. Man kann also jede
Distribution T durch
- T(φ)=limj→∞Ω∫Tj(x)φ(x)dx
darstellen.
Literatur
- Israel Gelfand: Verallgemeinerte Funktionen (Distributionen). VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin (Ost).
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- Band 2: I. M. Gelfand, G. E. Schilow: Lineare topologische Räume, Räume von Grundfunktionen und verallgemeinerten Funktionen. 1962 (Hochschulbücher für Mathematik 48);
- Band 3: I. M. Gelfand, G. E. Schilow: Einige Fragen zur Theorie der Differentialgleichungen. 1964 (Hochschulbücher für Mathematik 49);
- Band 4: I. M. Gelfand, N. J. Wilenkin: Einige Anwendungen der harmonischen Analyse. Gelfandsche Raumtripel. 1964 (Hochschulbücher für Mathematik 50).
- nur in russischer Sprache: Обобщенные функции. Том 5: И. М. Гельфанд, М. И. Граев, Н. Я. Виленкин: Интегральная геометрия и связанные с ней вопросы теории представлений. Гос. Изд. Физ.-Мат. Лит., Москва 1962.
- Lars Hörmander: The Analysis of Linear Partial Differential Operators. Band 1: Distribution Theory and Fourier Analysis. Second Edition. Springer-Verlag, Berlin u. a. 1990, ISBN 3-540-52345-6 (Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 256).
- M. J. Lighthill: An introduction to Fourier analysis and generalised functions. Reprinted. Cambridge University Press, Cambridge 2003, ISBN 0-521-09128-4 (Cambridge monographs on mechanics and applied mathematics).
- Klaus-Heinrich Peters: Der Zusammenhang von Mathematik und Physik am Beispiel der Geschichte der Distributionen. Eine historische Untersuchung über die Grundlagen der Physik im Grenzbereich zu Mathematik, Philosophie und Kunst. Hamburg 2004 (Hamburg, Univ., Diss., 2004).
- V. S. Vladimirov: Generalized function. In: Michiel Hazewinkel: Encyclopaedia of Mathematics. Springer-Verlag, Berlin u. a. 2001, ISBN 1-55608-010-7.
- Joseph Wloka: Grundräume und Verallgemeinerte Funktionen. Springer-Verlag, Berlin u. a. 1969 (Lecture notes in mathematics 82, Unknown meta: ISSN|0075-8434).
Seit der Zeit der Griechen bedeutet "Mathematik" zu sagen, "Beweis" zu sagen.
N. Bourbaki
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