Topologie
Die
Topologie oder
Analysis situs, wie sie früher meistens genannt wurde, ist ein Teilgebiet der
Mathematik. Sie ist im wesentlichen eine Schöpfung des 20. Jahrhunderts und trotzdem bereits seit Jahrzehnten als Grundlagenfach anerkannt. Insofern hat sie (zusammen unter anderem mit der
linearen Algebra und der
Maßtheorie) das Erbe der
Geometrie angetreten.
Gegenstände der
Topologie sind in umfassender Weise die
topologischen Räume und deren charakteristische
topologische Strukturen. Auch diese werden häufig kurz
Topologien genannt, die genaue Definition findet sich dort. Topologische Räume können als radikale Verallgemeinerung des „Anschauungsraumes“ der
Elementargeometrie verstanden werden, und der erstaunliche Erfolg dieses Konzeptes ist die
Folge seiner Fähigkeit, eine Vielzahl von Phänomenen zu integrieren.
Die
Topologie als Teilgebiet lässt sich noch weiter unterteilen in mengentheoretische
Topologie, die sich allgemein mit topologischen Räumen beschäftigt, und algebraische
Topologie, die diejenigen Eigenschaften von topologischen Räumen untersucht, die unter stetigen
Abbildungen erhalten bleiben.
Einführung
Die Topologie untersucht die Eigenschaften geometrischer Körper (d. h. topologischer Räume), die durch Verformungen mit Homöomorphismen nicht verändert werden. Dazu gehört das Dehnen, Stauchen, Verbiegen, Verzerren, Verdrillen eines Gegenstands; das Zerschneiden aber nur, wenn man ihn später an genau der Schnittfläche wieder zusammenklebt. Zum Beispiel haben eine Kugel und ein Glas dieselbe Topologie; sie sind homöomorph. Ebenso sind ein Torus und eine einhenkelige Tasse homöomorph.
Der axiomatische Aufbau der modernen
Topologie beruht auf dem grundlegenden Konzept der "Nachbarschaft", formalisiert als
offene Umgebung. Neben
offen und
abgeschlossen gibt es als weitere fundamentale topologische Begriffe
stetig,
kompakt,
separabel,
zusammenhängend,
dicht,
Rand,
Inneres,
Weg. Neben der
Algebra kann die
Topologie als zweiter Stützpfeiler für alle anderen Felder der
Mathematik angesehen werden; sie ist besonders wichtig für die
Geometrie, die
Analysis (Maß- und Integrationstheorie), die
Funktionalanalysis, die Theorie der Lie-Gruppen, die
Graphentheorie usw.
Untergebiete der Topologie sind die algebraische Topologie, die Differentialtopologie.
Exaktere Darstellung
Die
Topologie formalisiert den Begriff der "Nähe" (besser:
Umgebung. Oder: infinitesimale Nähe).
Als Beispiel betrachte man z. B. die topologischen Räume der
ganzen Zahlen Z und die der
rationalen Zahlen Q (mit der aus der
Metrik induzierten
Topologie). Da es
bijektive Abbildungen zwischen
Z und
Q gibt, sind sie
gleichmächtig. Sie sind also als
Mengen ununterscheidbar, solange man sie nur als Ansammlung von Elementen betrachtet, ohne deren Eigenschaften und Beziehungen zu berücksichtigen. Aber die beiden
Mengen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer topologischen Struktur: In
Z liegen alle
Punkte isoliert, d. h. im Gegensatz zu
Q gibt es um jeden
Punkt eine kleine
Umgebung, in der kein weiterer
Punkt liegt. Deshalb gibt es keinen Homöomorphismus zwischen beiden.
Während die beiden obigen Beispiele den Begriff des Abstandes verwenden, besteht die Leistung der (mengentheoretischen) Topologie darin, das Konzept der Nähe auf den Kern reduziert zu haben.
Dies gelingt, indem man statt der Abstandsfunktion nur noch die
Menge aller
Umgebungen betrachtet (bzw. in einer beliebigen
Menge M zu jedem
Punkt einen Satz von
Teilmengen auswählt, die man als die
Umgebungen dieses
Punktes definiert). Man findet so viele Beispiele von topologischen Räumen, auf denen es nicht mehr möglich ist, den Abstand zwischen den
Punkten anzugeben.
Es gibt zwei Gründe, die für die Betrachtung dieser Struktur sprechen: Zunächst gibt es natürliche Beispiele von Räumen, auf denen keine Abstandsfunktion definiert werden kann (z. B. manche Quotientenräume). Andererseits ist man oft nicht an dem konkreten Abstand interessiert: Man stelle sich einen Körper im
R3 vor, den man ausbeult und verformt (ohne ihn aber zu zerreißen). Der Abstand zweier
Punkte in diesem Objekt hat sich geändert, aber wichtige Grundeigenschaften sind geblieben, z. B. kann man zwei
Punkte, die man vor der Verformung verbinden konnte, auch weiterhin verbinden, oder ein
Punkt im Innern des Körpers bleibt im Innern.
Nicht jede
Abbildung zwischen topologischen Räumen ist verträglich mit der zusätzlichen Struktur (z.B. gibt es
bijektive Abbildungen zwischen den ganzen und den
rationalen Zahlen, aber die beiden Räume sehen ganz verschieden aus). Eine
Abbildung ist in diesem Sinne gutartig und wird
stetig genannt, „wenn sie die Nähe erhält“. Eine
Funktion f:R→R, die
x=/0 auf
0 und
0 auf
1 abbildet, ist z. B. nicht
stetig, denn Zahlen, die "in der Nähe von
0 liegen", werden "weit weg" von
f(0) abgebildet.
Die mengentheoretische
Topologie erlaubt die Konstruktion von sehr vielen Pathologien. Dies macht sie in der größten Allgemeinheit zu einem relativ fruchtlosen
Gebiet. Topologen beschäftigen sich deshalb mit spezielleren Räumen, z. B. Mannigfaltigkeiten oder CW-Komplexen.
Literatur
- N. Bourbaki: Topologie générale, Hermann (1961).
- T. Camps, S. Kühling, G. Rosenberger: Einführung in die mengentheoretische und die algebraische Topologie, Heldermann 2006, ISBN 388538115X.
- H. Herrlich: Topologie I: Topologische Räume, Heldermann 1986, ISBN 3885381028.
- Kazimierz Kuratowski: Topologie I, 1933
- H. Schubert: Topologie, Teubner, Stuttgart 1964, ISBN 3519122006
- Allen Hatcher: Algebraic Topology. Cambridge University Press 2000 ISBN 0-521-79540-0
- Boto v. Querenburg: Mengentheoretische Topologie. 3. Auflage. Springer, Berlin 2001, ISBN 3540677909
Nicht etwa, daß bei größerer Verbreitung des Einblickes in die Methode der Mathematik notwendigerweise viel mehr Kluges gesagt würde als heute, aber es würde sicher viel weniger Unkluges gesagt.
Karl Menger
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