Weierstraß-Iteration für Polynomnullstellen
Die
Weierstraß-Iteration für Polynomnullstellen (Karl Weierstraß, entwickelt 1859-1891), auch
Durand-Kerner-Methode (E. Durand 1960, I. Kerner 1966) ist ein iteratives Verfahren zur simultanen Bestimmung aller
Nullstellen eines univariaten
Polynoms.
Das Verfahren
Es sei
p(X)=Xn+pn−1Xn−1+⋯+p0 ein normiertes univariates
Polynom mit komplexen Koeffizienten und mit führendem Koeffizienten
1. Dieses hat nach dem
Fundamentalsatz der Algebra genau
n Nullstellen ξ1,…,ξn∈C und kann in
Linearfaktoren zerlegt werden,
- p(X)=(X−ξ1)⋅…⋅(X−ξn).
Aus dieser Formel kann jede der
Nullstellen formal isoliert werden, es gilt
- ξk=X−j=1,…,n,j=/k∏(X−ξj)p(X).
- zk(i+1):=zk(i)−j=1,…,n,j=/k∏(zk(i)−ξj)p(zk(i))
wird offensichtlich nach dem ersten Iterationsschritt in der
Nullstelle ξk stationär.
Ersetzt man nun in der Iterationsvorschrift die anderen
Nullstellen durch gute Näherungen, so bleibt
ξk ein Fixpunkt und jede Iteration, die in der Nähe dieser
Nullstelle startet, konvergiert auch gegen diese. Die
Weierstraß-Iteration ergibt sich, wenn nun für alle
Nullstellen gleichzeitig mittels dieser Iterationsvorschrift Näherungsfolgen bestimmt werden, und die jeweils bestimmte Näherung einer
Nullstelle sofort in die Bestimmung der nächsten Näherungen der anderen
Nullstellen eingeht.
Am Anfang eines jeden Iterationsschrittes stehen
n zusätzliche, paarweise verschiedene
komplexe Zahlen z1(i),…,zn(i)∈C. Für den ersten Schritt können diese Zahlen
z1(0),…,zn(0)∈C zufällig, aber paarweise verschieden gewählt werden, in späteren Schritten stehen diese Zahlen für Approximationen der
Nullstellen von
p(X).
Dem
Tupel z(i)=(z1(i),…,zn(i)) wird das Verschwindungspolynom
gz(i)(X):=(X−z1(i))⋅…⋅(X−zn(i)) sowie dessen
Ableitung gz(i)′(X) zugeordnet. Es gelten
- gz(i)(zk(i))=0 und gz(i)′(zk(i))=j=/k∏(zk(i)−zj(i)).
Aus
p(X) und der
Ableitung gz(i)′(X) werden die Weierstraß-Korrekturen
wk(i)=−gz(i)′(zk(i))p(zk(i)),
k=1,…,n bestimmt und das korrigierte
Tupel z(i+1)=z(i)+w(i)=(z1(i)+w1(i),…,zn(i)+wn(i)) als Ergebnis und Eingabe des nächsten Iterationsschrittes zurückgegeben.
Die Iteration kann z.B. abgebrochen werden, wenn die Korrektur eine zuvor festgelegte Rückgabegenauigkeit unterschreitet. (Die Rechengenauigkeit sollte etwas höher als diese Rückgabegenauigkeit sein.)
Beispiel
Zu lösen sei die
kubische Gleichung x3−3x2+3x−5=0. Als Starttupel werde
(z1,z2,z3)=(a0,a1,a2) mit dem komplexen Parameter
a=04+09⋅i gewählt. Es ergeben sich die folgenden ersten Iterationsschritte
It.-Nr. |
z1 |
z2 |
z3 |
0 |
+1.0000+0.0000i |
+0.4000+0.9000i |
-0.6500+0.7200i |
1 |
+1.3608+2.0222i |
-0.3658+2.4838i |
-2.3858-0.0284i |
2 |
+2.6597+2.7137i |
+0.5977+0.8225i |
-0.6320-1.6716i |
3 |
+2.2704+0.3880i |
+0.1312+1.3128i |
+0.2821-1.5015i |
4 |
+2.5428-0.0153i |
+0.2044+1.3716i |
+0.2056-1.3721i |
5 |
+2.5874+0.0000i |
+0.2063+1.3747i |
+0.2063-1.3747i |
6 |
+2.5874+0.0000i |
+0.2063+1.3747i |
+0.2063-1.3747i |
In den ersten 4 Iterationen wird das
Tripel (z1,z2,z3) scheinbar chaotisch bewegt, ab dem 5 Schritt bleiben zunehmend mehr Dezimalstellen konstant, Iteration 6 bestätigt die Korrektheit von Iteration 5 im Rahmen der angegebenen Genauigkeit. Dieses allgemeine Verhalten ist charakteristisch für diese Methode.
Als Gleichung 3. Grades mit reellen Koeffizienten hat
p(X) eine reelle
Nullstelle und ein konjugiertes Paar komplexer
Nullstellen. Die Näherungen erfüllen dieses Muster. Nach der
Satzgruppe von Vieta muss z.B. die Summe aller
Nullstellen dem Negativen des Koeffizienten zweithöchsten Grades entsprechen, also 3 sein. Auch dies bestätigt sich in den Näherungen.
Begründung als Newton-Verfahren
Die - wenigstens lokale - Konvergenz der
Weierstraß-Iteration ergibt sich aus ihrer Interpretation als mehrdimensionales
Newton-Verfahren. Das Gleichungssystem dazu ergibt sich aus dem Vergleich der Koeffizienten gleichen Grades in der angestrebten Identität
- gz(X)=j=1∏n(X−zj)=p(X).
Da die
Polynome auf beiden Seiten normiert sind, ist die Identität im Grad
n trivial und es ergeben sich
n Gleichungen für die
n Unbekannten.
Im Allgemeinen ist diese Identität nicht erfüllt. Die Korrektur
w=(w1,…,wn) in jedem Schritt der Newton-Iteration ergibt sich aus der Forderung, dass
- gz+w(X)=j=1∏n(X−zj)=p(X)
in erster Ordnung in
w erfüllt sei. Aus der
Taylor-Entwicklung erster Ordnung ergibt sich die in
w lineare Gleichung
- k=1∑n(−wk)j=/k∏(X−zj)=p(X)−gz(X).
Jede einzelne Korrektur
wk kann daraus durch Einsetzen von
X=zk zu
- wk=−j=/k∏(zk−zj)p(zk)−gz(zk)=−gz′(zk)p(zk)
gewonnen werden, was die Korrektur der Weierstraß-Iteration ergibt.
Ein globaler Konvergenzbeweis für dieses Verfahren wurde schon in (K. Weierstraß 1891) als alternativer Beweis für den
Fundamentalsatz der Algebra angegeben.
Fehlerschätzung mittels Gerschgorin-Kreisen
Eine Fehlerabschätzung und eine alternative Herleitung des Verfahrens ist im Artikel zum Satz von Gerschgorin angegeben. Danach sind in jedem Iterationsschritt alle
Nullstellen des
Polynoms p(X) in der
Vereinigung der Kreisscheiben
D(zk+wk,(n−1)⋅∣wk∣) enthalten. Sind die Kreisscheiben paarweise
disjunkt, so enthält jede genau eine
Nullstelle. (A. Neumaier 2003) zeigt die gleiche Aussage für die etwas kleineren Kreisscheiben
D(z+n/2⋅wk,n/2⋅∣wk∣)
Literatur
- Weierstraß, Karl (1891). "Neuer Beweis des Satzes, dass jede ganze rationale Function einer Veränderlichen dargestellt werden kann als ein Product aus linearen Functionen derselben Veränderlichen". Sitzungsberichte der königlich preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
- Durand, E. (1960). "Equations du type F(x)=0: Racines d'un polynome". In: Solutions numeriques des equations algebriques, Editoren: Masson et al., vol. 1.
- Bo Jacoby, Nulpunkter for polynomier, CAE-nyt (a periodical for Dansk CAE [!Gruppe] [Danish CAE Group]), 1988.
- Agnethe Knudsen, Numeriske Metoder (lecture notes), Københavns Teknikum.
- Bo Jacoby, Numerisk løsning af ligninger, Bygningsstatiske meddelelser (Published by Danish Society for Structural Science and Engineering) volume 63 no. 3-4, 1992, pp. 83-105.
Gott existiert, weil die Mathematik widerspruchsfrei ist, und der Teufel existiert, weil wir das nicht beweisen können.
Andre Weil
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