Innere-Punkte-Verfahren sind in der Optimierung eine Klasse von Algorithmen zur Lösung von Optimierungsaufgaben. Ihr Hauptanwendungsgebiet sind lineare oder quadratische Programme. Sie werden aber auch zur Lösung (allgemeiner) nichtlinearer Programme, semidefinierter Programme oder Komplementaritätsproblemen eingesetzt.
Im Vergleich zu den traditionelleren Active-Set-Methoden (z. B. Simplex-Verfahren) zeichnen sich Innere-Punkte-Verfahren durch bessere theoretische Eigenschaften (polynomiale Komplexität) und schnellere Konvergenz für sehr große dünnbesetzte Probleme aus. Ein Nachteil ist, dass sie vergleichbar ungeeignet zum Lösen einer Serie von Optimierungsaufgaben sind (was für viele Algorithmen der ganzzahligen Optimierung, wie z. B. Branch and Bound oder Schnittebenenverfahren, wichtig ist).
Aufgabenstellung
Im einfachsten Fall werden Innere-Punkte-Verfahren benutzt um das lineare Problem
minxcTx , wobei Ax=b,x≥0
zu lösen. Dabei ist A eine m×n-Matrix, und c, b sind jeweils n- bzw. m-dimensionale Vektoren. Die zulässige MengeX={x:Ax=b,x≥0} hat die Form eines Polyeders. Aus der Theorie der linearen Optimierung ist bekannt, dass eine optimale Lösung des Optimierungsproblems in einer der Ecken des Polyeders angenommen wird. Im Gegensatz zum Simplex-Verfahren, das sich entlang der Kanten von Ecke zu Ecke bewegt, versuchen Innere-Punkte-Verfahren einen Pfad zum Optimum durch das "Innere" des Polyeders zu finden.
Geschichte
Logarithmische-Barriere-Verfahren wurden schon von Fiacco und McCormick (1968) beschrieben. Sie galten damals jedoch als ineffizient und (durch das Logarithmieren sehr kleiner Zahlen) als numerisch instabil. Als Geburtsstunde der Inneren-Punkte-Verfahren, gilt gemeinhin die Arbeit von Narendra Karmarkar von 1984, die zum ersten Mal einen polynomialen potentiell praktisch einsetzbaren Algorithmus für lineare Probleme beschreibt. Dieser Algorithmus wies schon viele Gemeinsamkeiten zu den modernen Verfahren auf, auch wenn die bedeutenden Durchbrüche, die innere Punkte Verfahren zu einer echten Konkurrenz für das Simplex-Verfahren machten, erst in den 1990er Jahren geschahen (z. B. Mehrotra (1992)).
Herleitung
Vom heutigen Standpunkt aus gibt es verschiedene Wege, um Innere-Punkte-Verfahren zu motivieren. Eine Möglichkeit ist über Logarithmische Barrieren: Hierbei werden die Positivitätsbedingungen x≥0 durch logarithmische Terme −μlnxi ersetzt (hierbei ist μ>0 ein Parameter). Anstatt des Urprungsproblems löst man also
minxcTx−μi∑nlnxi wobei Ax=b
Für kleine Werte von x wird −lnx sehr groß, man versucht also durch Bestrafung kleiner x-Werte die Lösung des Optimierungsproblems im Inneren der Menge der positiven Koordinaten zu halten. Diese Bestrafung wird umso kleiner, je kleiner der Parameter μ ist. Im Grenzwertμ→0 erwartet man, dass die Lösung des Barriereproblems gegen die Lösung des Ursprungsproblems konvergiert. Das Barriereproblem ist ein (streng) konvexes Problem, seine (einzige, globale) Lösung findet man durch Anwendung des Lagrangen Multiplikatorensatzes als Lösung des (nichtlinearen) Gleichungssystems
AxATy+sxisix,s===≥bcμ0
Für jeden Wert μ≥0 ist dieses Gleichungssystem eindeutig lösbar. Die Menge aller Lösungen für verschiedene μ beschreibt einen Pfad (den zentralen Pfad), der das Analytische Zentrum des zulässigen Polyeders (für μ=∞) mit der Lösung des Ursprungsproblems (für μ=0) verbindet. Algorithmisch kann das Gleichungssystem per Newton-Verfahren gelöst werden. Im Innere-Punkte-Verfahren wird nach jeder Iteration des Newton-Verfahrens der Parameter μ reduziert. Durch geeignete Heuristiken wird sichergestellt, dass die Konvergenz von μ→0 und die des Newton-Verfahrens synchron ablaufen.
Die Kurzschrittvariante des Innere-Punkte-Verfahrens braucht im ungünstigsten Fall O(ε1n) Iterationen, um die Lösung eines linearen Problems mit Genauigkeit ε zu finden. Dies ist zur Zeit die beste bekannte theoretische Schranke. Das Kurzschrittverfahren ist in der Praxis anderen Varianten jedoch unterlegen.
In der Praxis beobachtet man O(logn) Iterationen.
Algorithmus
Wähle primale und duale Startvektoren x,y,s>0.
Setze μalt=xTs/n
Reduziere μ:0<μneu<μalt.
Berechne die Newton-Richtung durch Lösen des linearen Gleichungssystems:⎣⎡0ASAT00I0X⎦⎤⎣⎡ΔxΔyΔs⎦⎤=⎣⎡c−ATy−sb−Axμneue−XSe⎦⎤ (dabei sind X,SDiagonalmatrizen, auf deren Diagonale die Elemente der Vektoren x, s stehen, sowie e=(1,…,1)T).
Wähle eine Schrittweite α>0, so dass x+αΔx>0,s+αΔs>0 komponentenweise gilt. Einige Varianten des Innere-Punkte-Verfahrens stellen weitere Bedingungen an α.
Setze x←x+αΔx,y←y+αΔy,s←s+αΔs
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Varianten des Verfahrens und Umgebungen
Es gibt mehrere Varianten von Innere-Punkte-Verfahren, die sich im wesentlichen in der Wahl von μneu und α unterscheiden. Die wichtigsten sind Kurzschrittverfahren, Langschrittverfahren und Predictor-Corrector-Verfahren (in etwa Vorhersage und Korrektur). Um sie zu beschreiben werden die folgenden Umgebungen des zentralen Pfades benötigt:
N2(θ)={(x,y,s)∈F0:∥XSe−μe∥2≤θμ}
und
N−∞(γ)={(x,y,s)∈F0:xisi≥γμ,i=1,…,n}
dabei ist F0={(x,y,s):Ax=b,ATy+s=c,x>0,s>0} das Innere der zulässigen Menge. Der zentrale Pfad ist durch die Bedingung xisi=μ definiert. In der N2-Umgebung wird die 2-Norm der Abweichung des Vektors (x1s1,…,xnsn) von (μ,…,μ)beschränkt, bei der N−∞-Umgebung wird lediglich verlangt, dass die Produkte xisi nicht zu klein werden.
Die Varianten des Innere-Punkte-Verfahrens sind im einzelnen:
Kurzschrittverfahren: Für geeignete Parameter θ,β wird μneu=(1−β/n)μalt und α=1 gesetzt. Wenn der Startpunkt in N2(θ) ist, so gilt dies auch für alle weiteren Iterationspunkte.
Langschrittverfahren: γ∈(0,1),0<σmin<σmax<1 werden gewählt. Es wird μneu=σkμalt mit σk∈(σmin,σmax) gesetzt und α so gewählt, dass zusätzlich (x,y,s)∈N−∞(γ) gilt.
Predictor-Corrector-Verfahren: Es wird zuerst μneu=0 gewählt, und das maximale α für diesen Fall bestimmt (Predictor). Dieses α liefert einen Schätzwert für das optimale μneu, das nun im zweiten Schritt gewählt wird. Im zweiten Schritt wird außerdem versucht, den Linearisierungsfehler der dritten Gleichung (XSe=μe) durch das Newton-Verfahren zu korrigieren. Im Predictor-Corrector-Verfahren wird das obige Newton-Gleichungssystem für zwei verschiedene rechte Seiten gelöst. Es ist möglich, dies sehr effizient zu implementieren (Cholesky-Zerlegung).
Das Predictor-Corrector-Verfahren ist den anderen Varianten in der Praxis überlegen, ist jedoch schwerer zu analysieren und besitzt schlechtere theoretische Eigenschaften.