Lie-Integration
Grundlagen
Lie-Operator
Der Lie-Operator
D (benannt nach dem norwegischen Mathematiker Sophus Lie) ist ein linearer Differentialoperator:
- D=θ1∂z1∂+θ2∂z2∂+…+θn∂zn∂
Die
Funktionen θi(z) sind holomorph (d.h. sie können in eine konvergierende
Potenzreihe entwickelt werden).
Lie-Reihen
Der Lie-Operator kann auf eine
Funktion f(z) (die in der gleichen Region holomorph ist wie
θi(z)) angewandt werden:
- D(f)=θ1∂z1∂f+θ2∂z2∂f+…+θn∂zn∂f
Wird D ein zweites mal auf f angewandt ergibt sich
- D2(f)=D(D(f))
bzw. bei weiteren Anwendungen gilt:
- Dn(f)=D(Dn−1(f))
Die Lie-Reihe
L wird nun folgendermaßen definiert:
- L(z,t)=ν=0∑∞ν!tνDνf(z)=f(z)+tDf(z)+2!t2D2f(z)+…
- ex=(1+1!x+2!x2+3!x3+…)
gegeben ist, kann die Lie-Reihe symbolisch in folgender Form geschrieben werden:
- L(z,t)=etDf(z)
Eigenschaften
Für die Lie-Reihe gilt der Vertauschungssatz:
Es sei
F(z) eine holomorphe
Funktion in der
Umgebung von
(z1,z2,…,zn) in der ihre zugehörige
Potenzreihe gegen
(Z1,Z2,…,Zn) konvergiert.
Dann gilt:
F(Z)=ν=0∑∞ν!tνDνF(Z) oder
F(etD)z=etDF(z).
Die Methode
- dtdzi=θi(z)
Dann können die Lösungen der Gleichungen durch eine Lie-Reihe beschrieben werden:
- zi=etDξi
wobei hier
ξi die Anfangsbedingungen
zi(t=0) sind. Der Beweis für diese Aussage lässt sich leicht führen. Zuerst wird
zi nach der Zeit abgeleitet:
- dtdzi=DetDξi
Jetzt kann der Vertauschungsatz benutzt werden
- DetDξi=etDDξi
Aus der Definition des Lie-Operators folgt
- Dξi=θi(ξi)
und damit der Beweis der Aussage:
- dtdzi=etDθi(ξi)=θi(etDξi)=θi(zi)
Ein Beispiel
Als Demonstration des Verfahrens soll hier die Bewegungsgleichung des
harmonischen Oszillators mittels
Lie-Integration gelöst werden. Die Bewegung des Oszillators kann durch ein
Differentialgleichung zweiter Ordnung beschrieben werden:
- dt2d2x+α2x=0
- dtdx=y=θ1(x,y)
- dtdy=−α2x=θ2(x,y)
Die Anfangsbedingungen werden als
x(t=0)=ξ und
y(t=0)=η bezeichnet. Damit hat der Lie-Operator folgende Form:
- D=θ1∂ξ∂+θ2∂η∂=η∂ξ∂−α2ξ∂η∂
- x=eτDξ, y=eτDη
wobei hier
τ den Zeitschritt
t−t0 der
Integration darstellt. Um die Lösung explizit darzustellen, wird nun die Lie-Reihe in ihrer entwickelten Form dargestellt:
- x=eτDξ=(1+τD+2!tD2+3!t3D3+…)ξ
Nun werden die einzelnen Terme der Reihe berechnet:
Dξ=η=θ1
D2ξ=Dη=−α2ξ=θ2
D3ξ=−α2Dξ=−α2η
D4ξ=−α2Dη=α4ξ
D5ξ=−α4Dξ=α4η
D6ξ=−α4Dη=−α6ξ
Allgemein lässt sich zeigen das in diesem Fall gilt:
D2nξ=(−1)nα2nξ
D2n+1ξ=(−1)nα2nη
Nun können die einzelnen Terme in die Lie-Reihe eingesetzt werden:
- x=ξ+τη−2!τ2α2ξ−3!τ3α2η+4!τ4α4ξ…
Nach einer Faktorisierung von
ξ und
η ergibt sich schließlich
- x=ξ(1−2!τ2α2+4!τ4α4−6!τ6α6+…)+αη(τα−3!τ3α3+5!τ5α5−7!τ7α7+…)
Bei den beiden Reihen in den Klammern handelt es sich um die
Potenzreihe der Kosinus- bzw. Sinus-Funktion. Damit folgt nun die Lösung der Bewegungsgleichung des
harmonischen Oszillators:
- x(t)=ξcosατ+αηsinατ
Bemerkungen zur Lie-Integration
- Da die Lösungen bei der Lie-Integration als Potenzreihe in der unabhängigen Variable (hier τ) gegeben ist, ist es sehr einfach, einen Integrations-Algorithmus mit Schrittweitensteuerung anzugeben.
- Das Verfahren ist bei der numerischen Lösung von Differentialgleichung sehr exakt. Durch Auswahl des Zeitschritts und der Anzahl der Terme der Lie-Reihe, die für die Lösung berechnet werden, lässt sich die Genauigkeit steuern: je mehr Lie-Terme berechnet werden, desto größer kann der Zeitschritt sein (und umgekehrt).
- Für viele Differentialgleichungen kann die Berechnung der Terme der Lie-Reihe rekursiv erfolgen. Damit wird das Integrationsverfahren sehr schnell.
- Zur Lösung einer Differentialgleichung mittels Lie-Integration ist nur eine Kenntnis über die Ableitungen der Gleichungen notwendig. Diese können aber immer, bis zu einer beliebig hohen Ordnung, bestimmt werden. Außerdem ist die Differentation von Gleichungen (im Gegensatz zur Integration!) mittels komplett automatisierbar.
Aus den oben genannten Gründen wird die
Lie-Integration besonders in der Himmelsmechanik zur
numerischen Integration der Planetenbewegung verwendet da hier Schnelligkeit und Genauigkeit von großer Bedeutung sind.
Literatur
- Wolfgang Gröbner, Die Lie-Reihen und ihre Anwendungen., VEB, 1960, ISBN B0000BISQ2
- Rudolf Dvorak, Florian Freistetter, J. Kurths, Chaos and Stability in Planetary Systems., Springer, 2005, ISBN 3540282084
- N. Asghari et. al, Stability of terrestrial planets in the habitable zone of Gl 777 A, HD 72659, Gl 614, 47 Uma and HD 4208. In: Astronomy & Astrophysics 426/2004, S. 353-365
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