Inzidenzebenen
Sei
P eine beliebige
Menge. Wir nennen die Elemente von
P Punkte und bezeichnen sie mit Großbuchstaben wie z.B.
A,
B,
C,P,Q. Wir stellen uns eine
Gerade als eine
Menge von
Punkten vor. Die
Menge der
Geraden G ist also eine
Teilmenge der
Potenzmenge der
Punkte,
G⊆PP. Die
Geraden bezeichnen wir mit lateinischen Kleinbuchstaben wie z.B.
g,
h,
l.
Ein
Punkt A liegt auf einer Geraden g, bzw.
g geht durch A, falls
A∈g (Abb. 1 c). Zwei
Geraden schneiden sich, wenn sie gemeinsame
Punkte haben, also
g∩h=/∅. Dass in Abb. 1 b) die
Schnittmenge aus genau einem
Punkt besteht, ist kein Zufall sondern ein wesentliches Element unserer
Geometrie, wie
Satz WH94 zeigen wird.
Eine
Menge von
Punkten heißt
kollinear, wenn es eine
Gerade gibt, die alle
Punkte aus dieser
Menge enthält. In Abb. 1 d) sind
A,
B und
C kollinear.
Drei
Punkte A,
B und
C befinden sich in
allgemeiner Lage, wenn sie nicht
kollinear sind, es also keine
Gerade gibt, die alle drei
Punkte enthält (Abb. 1 a). Eine
Menge von
Punkten ist in
allgemeiner Lage, wenn keine drei von ihnen
kollinear sind.
Abb. 1:
Punkte und
Geraden: a) drei
Punkte in
allgemeiner Lage, b) zwei
Geraden, die sich im
Punkt A schneiden, c)
Punkt A liegt auf der
Geraden g, d) drei kollineare
Punkte.
Nicht zufällig werden alle diese Begriffe so definiert, dass die unserer Anschauung entsprechen. Die
Geometrie der Anschauungsebene ist ja genau das Vorbild, nach der diese Begrifflichkeit ausgesucht wurde. Wir werden die Anschauungsebene daher oft zur Darstellung geometrischer Sachverhalte verwenden. Dabei müssen wir jedoch die nötige Vorsicht walten lassen, dass diese Anschauung uns nicht zu Schlüssen verleitet, die durch die Axiomatik nicht gerechtfertigt sind.
Inzidenzaxiome
Die Lagebeziehungen der
Punkte und
Geraden zueinander wird
Inzidenz genannt. Formal betrachtet ist die Inzidenz als zweistellige
Relation eine
Teilmenge von
P×G. Im axiomatischen Aufbau der
Geometrie bilden die
Inzidenzaxiome die erste
Gruppe von Axiomen. Sie legen die "Regeln" fest, wie sich
Punkte und
Geraden zueinander "verhalten" sollen.
- Inz1:Für je zwei verschiedene Punkte A=/B gibt es genau eine Gerade g, die diese beiden Punkte enthält (A,B∈g).
- Inz2:Auf jeder Geraden liegen mindestens zwei Punkte.
- Inz3:Es gibt mindestens drei Punkte in allgemeiner Lage.
Eine Struktur
(P,G) wobei
G⊆PP, die den Axiomen
Inz1 bis
Inz3 genügt, heißt
Inzidenzstruktur oder
Inzidenzebene.
Inz1 sichert, dass wir zwei verschiedene
Punkte durch eine
Gerade verbinden können und
Inz2 sorgt dafür, dass diese
Geraden auch
Punkte enthalten. Durch
Inz3 wird die
Inzidenzebene wirklich zu einer
Ebene und kann nicht zu einer eindimensionalen Struktur, wo alle
Punkte auf einer
Geraden liegen, degradieren. Außerdem ist durch dieses Axiom gesichert, dass es überhaupt
Punkte gibt und mit
Inz1, dass auch
Geraden existieren.
Die
Gerade aus
Inz1 wird auch die
Verbindungsgerade der beiden
Punkte A und
B genannt und mit
A⊻B bezeichnet.
Satz WH94
Zwei verschiedene Geraden einer Inzidenzstruktur haben höchstens einen Punkt gemeinsam.
Beweis
Seien
g und
h zwei verschiedene
Geraden, die die
Punkte A und
B (A=/B) gemeinsam haben. Dann gibt es nach
Inz1 genau eine
Gerade, die diese beiden
Punkte enthält. Sowohl
g und
h müssen diese
Verbindungsgerade sein, im Widerspruch zu
g=/h.
□
Falls dieser gemeinsame
Punkt zweier
Geraden g und
h existiert wird er
Schnittpunkt genannt.
Satz WH94 rechtfertigt es, von
dem Schnittpunkt zu sprechen, da es ja höchstens einen geben kann.
Satz SU09
Für das Lageverhältnis von zwei Geraden in einer Inzidenzebene gibt es genau drei sich gegenseitig ausschließende Möglichkeiten:
- g=h
- g∩h=∅
- g∩h={P} wobei P der eindeutig bestimmte Schnittpunkt ist.
Beweis
Ergibt sich als direkte Folgerung von
Satz WH94.
□
Wegen Fall (iii) ist damit die Schreibweise
g∩h=P gerechtfertigt.
Satz JO42
In einer
Inzidenzebene gilt: Zu jedem festgehaltenen
Punkt P gibt es zwei verschiedene
Punkte A und
B, sodass
A,
B und
P in
allgemeiner Lage sind.
Beweis
Andernfalls wären alle Punktetripel, die
P enthalten
kollinear, das bedeutet letztlich aber, dass alle
Punkte kollinear sind, da nach
Inz1 die
Verbindungsgerade zweier
Punkte eindeutig bestimmt ist. Damit gäbe es aber überhaupt keine drei
Punkte in allgemeiner Lager im Widerspruch zu
Inz3.
□
Es gilt eine zu Inz2 duale Aussage:
Satz QQ23
Durch jeden Punkt einer Inzidenzebene gehen mindestens zwei Geraden.
Beweis
Für den
Punkt P finden wir nach
Satz JO42 zwei
Punkte A und
B, sodass alle drei in
allgemeiner Lage sind. Dann sind ihre
Verbindungsgeraden A⊻B,
B⊻C und
C⊻A nach
Inz1 verschieden. Jeder
Punkt liegt nun aber auf zwei dieser
Verbindungsgeraden. Da dies für beliebige drei
Punkte gilt, gilt es für alle
Punkte der
Inzidenzstruktur.
□
Damit sieht man sofort, dass die in Abb. 1 gezeigten Strukturen keine Inzidenzebenen sind.
So kann also die Mathematik definiert werden als diejenige Wissenschaft, in der wir niemals das kennen, worüber wir sprechen, und niemals wissen, ob das, was wir sagen, wahr ist.
Bertrand Russell
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